Functional Training oder funktionelles Training haben schon länger Eingang in den Jargon von Trainern gefunden und tauchen in vielerlei Angeboten von Fitness-Studios auf. Alles mögliche ist funktionell und muss es wohl auch sein. Wer einen Hype vermutet, liegt sicherlich nicht falsch. Und doch glaube ich, dass die ernsthafte Diskussion in der Trainergemeinde, die Umsetzung in der Praxis und die wissenschaftliche Auseinandersetzung einen Kern hervorgebracht haben, der seinen festen Platz im Sport behaupten wird.
Was bereits in den 1980ern in der Rehabilitation als funktionelle Bewegungstherapie diskutiert und durch Vorreiter wie Vern Gambetta und Gary Gray in den athletischen Bereich übertragen wurde, erlangte in Deutschland durch das Training der deutschen Fußballnationalmannschaft mit Mark Verstegen vor der WM 2006 Popularität.
Nehmen wir den Begriff ein wenig auseinander:
Training
Unter Training – hier sportlichem Training – versteht man einen zielgerichteten, planmäßigen und systematischen Handlungsprozess zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch strukturelle und funktionelle Anpassungserscheinungen des Organismus aufgrund wiederholter, überschwelliger Belastungsreize (frei nach Schnabel, Hollmann, Hettinger). Uff.
Einfacher gesprochen: wenn ich mit einem Ziel vor Augen planvoll und regelmäßig meinen Körper in einer für ihn ungewohnten Weise herausfordere und sich seine Leistung durch Muskelwachstum, verbesserte Sauerstoffaufnahme- und verwertung, Veränderung des Bindegewebes, Anpassungen des Nervensystems etc. in Richtung des Ziels erhöht, dann trainiere ich.
Funktionalität
Doch halt. Stand da nicht etwas von funktionellen Anpassungen? Ist Training also per se funktionell? Nach obiger Definition schon. Das heißt, Functional Training ist sportliches Training, bei dem der funktionelle Aspekt besonders betont wird.
Ich interpretiere Funktionalität in zweierlei Hinsicht:
Erstens steht die Bewegungsfunktion des Körpers im Vordergrund. Es werden grundlegende Bewegungen bzw. Bewegungsmuster wie Springen, Laufen, Seitbewegungen, Zug-, Stoß- und Drehbewegungen usw. trainiert und damit das komplexe Zusammenspiel vieler Muskelgruppen, des Bindegewebes und des Nervensystems trainiert.
Daher sind Übungen im funktionellen Training meist „ground-based“: mindestes ein Fuß (oder auch mindestens eine Hand) der/des Trainierenden hat Bodenkontakt. Der Körper muss unter dem Einfluss der Schwerkraft in allen Bewegungsebenen stabilisiert werden. Oft wird sogar mit instabilen Untergründen gearbeitet, um die Anpassung auf unvorhergesehene Wettkampfsituation durch Verbesserung der Körperwahrnehmung zu fördern.
Zweitens steht der Begriff Funktion für Aufgabe oder Zweck. Funktionelles Training soll einen Sportler zweckmäßig trainieren und der Körper als Einheit auf Bewegungsaufgaben vorbereitet werden. Übergeordnetes Ziel ist die Verletzungsprophylaxe durch Ganzheitlichkeit und Ausgewogenheit im Training sowie Schaffung einer sportartübergreifenden Basis und der notwendigen Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen in Alltag, Training, Wettkampf.
Gegenteil
Isoliertes Training einzelner Muskelgruppen (Stichwort Bizeps-Curl) würde also zunächst nicht in den Bereich des funktionellen Trainings fallen wie auch eine ausschließlich sportartspezifische Ausrichtung. Das Krafttraining an Maschinen scheint auszuscheiden, da hier Sitze und Polster die Stabilisation übernehmen. Auch die Fokussierung auf rein ästhetisch orientierte strukturelle Veränderungen (Stichwort Bodybuilding) fällt aus diesem Rahmen.
Möglichkeiten
Dagegen sind Übungen mit dem eigenen Körpergewicht in stehender, stützender oder hängender Position (Kniebeuge, Liegestütz, Klimmzüge usw.) und jegliche Art der Fortbewegung (Krabbeln, Gehen, Laufen, Sprinten, Springen) im funktionellen Training angesagt.
Zur Steigerung der Intensität werden Hilfsmittel eingesetzt, die sich vielfach sehr gut durch Dinge ersetzen lassen, die man outdoor in der Natur findet:
- Kraft: Langhanteln, Kurzhanteln, Kettlebells, Schlingentrainer, Gewichtswesten, Gewichtsgürtel, Widerstandsbänder, Seilzüge, Medizinbälle
- Beweglichkeit: Rollen, Bälle, Bänder, Stäbe
- Koordination / Propriozeption: Pads, Wackelbretter, Gymnastikbälle, Koordinationsleitern, Hürden
So entsteht auf der Basis der grundlegenden Bewegungsmuster ein sehr variabler Katalog von funktionellen Übungsmöglichkeiten.
Kontextualität
Doch hier fängt aus meiner Sicht schon das erste Missverständnis an. Eine Übung an sich kann weder funktionell noch unfunktionell sein. Sie wird es erst im Kontext eines oder einer Trainierenden mit spezifischen Anforderungen und Zielen.
Für einen gesunden Athleten mag eine einbeinige Kniebeuge mit Kettlebell durchaus in ein funktionelles Trainingsprogramm passen. Bei einem verletzten Sportler kann in Abhängigkeit von der Verletzung und dem Genesungszustand die Arbeit in einer Beinpresse mit eingeschränktem Bewegungsumfang durchaus zweckmäßig sein, um die Funktion wiederherzustellen. Für ihn wäre diese gerätegestützte Übung in obigem Sinne funktionell.
Mit Blick auf Athleten in Sportarten mit „sitzender“ Position wie Ruderer oder Radsportler muss man die Zweckmäßigkeit des „ground-based“-Ansatzes näher unter die Lupe nehmen. Und generell gilt: auch wenn Functional Training nicht mit sportartspezifischem Training gleichzusetzen ist, so ist die erforderliche Zweckmäßigkeit nur dann gegeben, wenn das Training auf die hauptsächlich ausgeübte Sportart ausgerichtet ist (realitätsnahes Training).
Übertreibung
Wie mit vielem wird auch beim funktionellen Training übertrieben. Besonders auffällig sind Übertreibungen in Bezug auf die Instabilität. Sicher muss ein Fußballer im Spiel mit einem unebenen Untergrund umgehen. Aber ob er dafür durch einbeiniges Kreuzheben einer Kettlebell auf einem Bosu®-Ball wirklich besser vorbereitet wird, bleibt fraglich.
Es gilt, den Aspekt der grundlegenden Bewegungsmuster und der Realitätsnähe ausreichend zu würdigen.
Oft wird bei aller Beachtung von Mobilität, Koordination und Bewegungsgüte ganz vergessen, dass ein intensitätsgetriebenes (Maximal-)Krafttraining vor dem Hintergrund der Belastungsfähigkeit ein elementarer Bestandteil funktionellen Trainings ist.
Und nicht zuletzt findet sich vielfach eine überzogene Betonung des sogenannten „Core“-Trainings (spezifisches Training eines Teils der Rumpfmuskulatur). Darüber werde ich in einem separaten Beitrag philosophieren.
Résumé
Man kann Functional Training also grob mit zweckmäßigem Training von Bewegungen zur ganzheitlichen Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit übersetzen. Es bereitet deinen Körper auf die vielfältigen Belastungen in Alltag und Sport bestmöglich vor, um Verletzungen zu vermeiden. Es ist für alle Trainierenden – egal welchen sportlichen Hintergrunds und welchen Alters – geeignet. Und besondere Bedeutung im Training mit meinen Kunden hat es verständlicherweise sowieso.